Mehr Mensch, weniger Markt: DGU-Präsident warnt vor Spirale der Ökonomisierung in der Medizin

„Wir laufen Gefahr, den Menschen und damit das Wesentliche aus den Augen zu verlieren“, mahnt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU), Prof. Dr. Oliver W. Hakenberg.

Bild„Mensch, Maschine, Medizin, Wirtschaft“: Mit diesen vier Worten hat Prof. Dr. Oliver W. Hakenberg das Motto des 71. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. fixiert und damit das Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Medizin und Qualität in den Mittelpunkt seiner Präsidentschaft gerückt, das ihn als Arzt und engagierten Standesvertreter seit Jahren umtreibt.

„Wir leben in Klinik und Praxis in einem Spannungsfeld zwischen den Menschen einerseits – Patienten, Ärzten und den Mitarbeitenden in den Assistenz- und Pflegeberufen – und der zunehmenden Maschinisierung durch Digitalisierung und Bürokratisierung der Medizin sowie dem stetig wachsenden Druck der Ökonomie. Dabei geht viel Qualität verloren; in der Medizin, in der menschlichen Betreuung und Zuwendung, aber auch bei der Arbeitsplatzqualität für diejenigen, die Medizin leisten. Fremdbestimmung, enorme Arbeitsverdichtung und Entfremdung durch Bürokratisierung lassen viele von uns die Freude am erlernten Beruf verlieren. Das Allheilmittel ist Zertifizierung durch bürokratische ,Qualitätssicherung‘, die wiederum Zeit und ökonomische Ressourcen auffrisst. Diese Spirale dreht sich weiter und immer schneller. Wir laufen Gefahr, den Menschen und damit das Wesentliche aus den Augen zu verlieren“, sagt der Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Rostock. Der eigenen Fremdbestimmung setzt er bewusst Grenzen: „Ich persönlich – an meinem klinischen Arbeitsplatz – weigere mich, bestimmte Auswüchse mitzumachen. Das allerdings schafft natürlich Probleme.“

Wie Ärztekammer-Präsident Montgomery plädiert der DGU-Präsident für Personaluntergrenzen auch für Klinikärzte: „Das Auspressen der Zitrone im Personalbereich, bei den Assistenz- und Pflegeberufen mehr noch als bei den Ärzten, muss aufhören. Ich würde das ganze Gesundheitswesen anders denken wollen. Wir haben eine Pflichtversicherung, es sind Beiträge aller, mit denen das Gesundheitswesen finanziert werden muss. Eine privatwirtschaftliche Komponente mit Klinikkonzernen, die Rendite erwirtschaften, passt meines Erachtens nach nicht gut in dieses Konzept. Ich finde es falsch, das Gesundheitswesen den Kräften des Marktes auszusetzen.“

Den Qualitätsverlust durch die Ökonomisierung der Medizin sieht Prof. Hakenberg über alle Fächer. „Die Indikationsselektion, die an manchen Krankenhäusern aus wirtschaftlichen Gründen betrieben wird, ist ein solches Problem. Vorbereitet wurde dies durch die jahrelange Diskussion um die Beziehung zwischen Menge und Qualität bei operativen Eingriffen. Obwohl dieser Zusammenhang nur für ganz wenige Eingriffe überhaupt nachgewiesen wurde, und dann auch meist mit Statistiken aus anderen Ländern mit einem völlig anderen Gesundheitssystem, wird dies immer relativ kritiklos auf Deutschland übertragen. Unsere Verhältnisse sind aber andere“, sagt der Rostocker Urologe, der sich zwischen 2010 und 2016 bereits als Generalsekretär der DGU für sein Fachgebiet engagierte.

Laufende Anliegen der Fachgesellschaft wie die Kampagne zur Einführung der Widerspruchslösung bei der Organspende, die Past-Präsident Prof. Paolo Fornara 2018 initiiert hat, befördert Transplantationsmediziner Hakenberg in seiner Präsidentschaft weiter. „Wir haben gerade alle Bundestagsabgeordneten angeschrieben, um die DGU-Forderung, die Widerspruchslösung zu etablieren, nachdrücklich darzulegen und unsere Position zu begründen. Die Argumente gegen die Forderung, dass jeder ,ja‘ oder ,nein‘ sagen soll – mehr ist es ja nicht – sind überhaupt nicht stichhaltig.“

Als Experte für das Peniskarzinom liegt Prof. Hakenberg auch das Engagement der DGU zur HPV-Impfung für Jungen am Herzen. „Im Gegensatz zum Gebärmutterhalskrebs wird zwar nur ein Teil der Peniskarzinome durch Humane Papillomviren hervorgerufen, aber natürlich wird eine HPV-Impfung auch zur Prävention von Peniskrebs beitragen, wenn wir eine hohe Durchimpfungsrate erreichen“, sagt der Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Rostock, der das deutsche Peniskarzinomregister in der Hansestadt angesiedelt und den Prototyp für ein nationales Zweitmeinungsprojekt Peniskarzinom entwickelt hat. Die erste S3-Leitlinie zum Peniskarzinom soll auf dem diesjährigen Kongress der DGU in Hamburg präsentiert werden.

„Auf unserer Jahrestagung vom 18. bis 21. September 2019 in der Hamburg Messe (www.dgu-kongress.de) werden wir alles auf der Agenda haben, das in der urologischen Wissenschaft, Diagnostik und Therapie gutartiger und maligner urologischer Erkrankungen neu und wichtig ist. Organspende und Nierentransplantation gehören dazu und natürlich die Diskussion um den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses, den PSA-Test als Früherkennungsmaßnahme für Prostatakrebs einem Bewertungsverfahren zu unterziehen“, so DGU- und Kongresspräsident Prof. Oliver W. Hakenberg.

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